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Bahn & Bus, Verknüpfung von Verkehrsmitteln
Darmstadt & Darmstadt-Dieburg

Nordbahnhof: Aktives Zuwarten ist keine Option mehr

Die Situation an der Straßenbahnhaltestelle ist nicht sicher. Weitere Untätigkeit ist aus Sicht des VCD verantwortungslos. Die Straßenbahnhaltestelle bietet zu wenig Platz für wartende und umsteigende Fahrgäste und die Aufenthaltsbereiche liegen gefährlich nahe an den Fahrstreifen, auf denen schneller Kraftverkehr herrscht.

 

Von Felix Weidner

Am Nordbahnhof besteht Handlungsbedarf. Trotz des kürzlich fertiggestellten neuen nördlichen Bahnsteiges mag man dieser These bezogen auf das Gesamtbild kaum widersprechen. Besonders dringlich sind Änderungen in einem Bereich, in dem es nicht um den Komfort der Nutzer*innen, sondern um deren Verkehrssicherheit geht. Gemeint sind in diesem Fall nicht die bahntechnischen Anlagen, sondern die Straßenbahnhaltestelle am Nordbahnhof. Die den sehr zahlreichen dort ein- und aussteigenden Fahrgästen zur Verfügung stehende Haltestellenbereiche sind teilweise gerade mal 1,50 m breit und verfügen über keine Abtrennung zu der dahinterliegenden schnell befahrenen Fahrbahn des Kfz-Verkehrs.  Ein angemessener Sicherheitsraum zu den angrenzenden Verkehrsflächen ist nicht vorhanden.

Gefährliche Situation beim Aussteigen

Selbst für erwachsene Nutzer*innen des Bahnsteiges stellt sich hierdurch insbesondere bei gleichzeitig stattfindendem Verkehr auf der Fahrbahn und dem Gleiskörper eine bedrohliche und objektiv gefährliche Situation ein. Für schwache Verkehrsteilnehmer wie Rollstuhlfahrer aber auch Kinder ist die Situation gänzlich untragbar und die Anlage faktisch nicht nutzbar. Dort wo eine Abtrennung zur Fahrbahn hin vorhanden ist, ist aufgrund der räumlichen Enge das Aussteigen mit Kinderwagen oder Rollstuhl zudem quasi ausgeschlossen.

Nicht nur aus Gründen der Förderung des ÖPNV, sondern auch vor dem Hintergrund des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) sowie der Betriebsordnung Straßenbahnen (BOStrab) sind Anlagen der Straßenbahn sicher zu gestalten und zu betreiben. Diese Anforderung wird im Bereich der Straßenbahnhaltestelle Nordbahnhof aktuell nicht erfüllt. Diese Einschätzung bestätigt ein inzwischen vom VCD-Kreisvorstand eingeschalteter Fachanwalt.

Angesichts dieser objektiven Gefahrenlage hätte das Regierungspräsidium Darmstadt (RP) in seiner Rolle als Technische Aufsichtsbehörde Straßenbahn längst einschreiten und Auflagen als Voraussetzung für den Weiterbetrieb erlassen müssen. Auch den im vergangenen Jahr gestellten Antrag des VCD, entsprechend tätig zu werden, lehnt das RP bisher mit der Begründung ab, eine Betriebsuntersagung sei unverhältnismäßig.

Auch der VCD-Kreisvorstand wünscht sich dies nicht. Den Weiterbetrieb der Anlage unter den gegebenen Rahmenbedingungen halten wir jedoch für nicht vertretbar. Insbesondere ist die Argumentation von RP und Stadt weder inhaltlich noch rechtlich haltbar, dass ein Eingreifen nicht erforderlich bzw. möglich sei, weil es in dem Bereich in der Vergangenheit kein auffälliges Unfallgeschehen gegeben habe.

Gerichtsurteile zum Thema

Die Unfallstatistik gibt keine Auskunft über Gefahren, sondern nur über eingetretene Schäden. Nach der seit 2010 geltenden Spruchlinie des Bundesverwaltungsgerichtes liegt eine Gefahrenlage jedoch nicht erst dann vor, wenn ohne ein Handeln der Straßenverkehrsbehörde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zusätzliche Schadensfälle zu erwarten wären. Vielmehr reicht es aus, dass eine entsprechende konkrete Gefahr besteht, die sich aus den besonderen örtlichen Verhältnissen ergibt (BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37.09). Das Bundesverwaltungsgericht fordert also die antizipativ vorausschauende Gefahrenbeurteilung und nicht die statistisch rückschauende Schadensbeurteilung.

Noch deutlicher wird das Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße) in Anwendung der zuvor dargestellten Spruchlinie in seinem Urteil vom 20.09.2019 – 3 L 272/18.NW, dass „bei derart hochrangigen Rechtsgütern wie Leib, Leben und Gesundheit […] ein behördliches Einschreiten bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zulässig und geboten [ist]. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit wird daher von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht gefordert (s. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 37/09 –, Rn. 27, juris).“

Ein weiteres aktives Zuwarten von RP und Stadt auf einen schweren Unfall ähnlich wie beim Willy-Brand-Platz im Jahr 2004, wo ein Kind unter einen Bus geriet und schwer verletzt wurde, ist nicht vertretbar. In Folge dieses Unfalls wurde die Situation dort damals binnen Stunden durch Verbreiterung der Wartebereiche an der Süd- und Ostseite durch vorläufige Sperrung von Fahrstreifen behelfsmäßig und anschließend sehr zeitnah dauerhaft durch fest installierte Poller und Anhebung der Flächen auf Haltestellenniveau zulasten des Kfz-Verkehrsraumes verbessert. Die Veränderungen sind noch heute erkennbar und haben die Situation nachhaltig verbessert.

Durch die Sperrung des jeweils angrenzenden Kfz-Fahrstreifens wären z. B. auch im Bereich der Straßenbahnhaltestelle Nordbahnhof entsprechende Verbesserungen kurzfristig möglich. Da uns das RP diesbezüglich mit der Zuständigkeit an die Stadt Darmstadt als Verkehrsbehörde verwiesen hat, haben wir den Oberbürgermeister als Untere Straßenverkehrsbehörde Anfang März gebeten, entsprechend tätig zu werden. Sofern eine zeitnahe Reaktion noch im März 2020 ausbleibt, wird der VCD Kreisvorstand das Verwaltungsgericht in der Sache anrufen.

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