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Essiggässchen und Bahnunterführung: VCD Gießen will Option auf Reaktivierung gewahrt sehen

VCD fordert die Stadt Gießen auf, die geplante Entwidmung zurückzunehmen und die Öffnung der sinnvollen Fußwegeverbindung zwischen Uni- und Kliniksviertel voranzutreiben.

Seit knapp 50 Jahren ist der schmale Fußweg „Essiggässchen“ zwischen Alicenstraße und der sich anschließenden Bahnunterführung zum Riegelpfad bereits gesperrt. Dabei wäre dies eine direkte, für den Alltag vieler Menschen nützliche Fußwegeverbindung zwischen Uni- und Kliniksviertel, darüber hinaus auch über die Friedrichstraße zum Bahnhof, ohne dass Fußgängerinnen und Fußgänger die vielbefahrene Frankfurter Straße entlang gehen müssten. Mit dem schönen Nebeneffekt, dass geschlossene Bahnschranken bei Nutzung der Unterführung „kein Thema“ wären.

Eine Prüfung der rechtlichen Situation durch das Regierungspräsidium Gießen ergab nun, dass die Sperrung rechtswidrig sei, denn der Weg ist als öffentliche Straße anzusehen. Stadt und Bahn seien verpflichtet, den Weg wieder zu öffnen. Die Bahn müsse den bestehenden Tunnel wieder in einen verkehrssicheren Zustand überführen und erhalten, so dass er der Bevölkerung wieder zur Verfügung steht. Die Bahn wäre auch verpflichtet, sich an den Kosten für eine Verbreiterung oder Erhöhung des Tunnels zu beteiligen und den Ausbau zu unterstützen, wenn die Stadt es für notwendig hielte. Doch statt die sinnvolle Fußwegachse nun wieder zu öffnen, will die Stadtverwaltung den gegenteiligen Weg einschlagen: Per öffentlicher Bekanntmachung hat das Tiefbauamt angekündigt, die Widmung als öffentlichen Weg einzuziehen.

Einwände dazu können Interessierte noch bis zum 25.10.2022 schriftlich gegenüber dem Magistrat der Stadt Gießen erheben. Hierzu ruft der Gießener Kreisverband des Verkehrsclub Deutschland (VCD) in einer Pressemitteilung ausdrücklich auf. Sowohl die Stadtverordneten wie auch der Magistrat können die Pläne des Tiefbauamtes noch stoppen.

Den Weg zu entwidmen, hält der VCD auch strategisch für ungeschickt, denn dann könnte die Bahn den Tunnel sofort verfüllen. Wollte die Stadt den Tunnel nach einer Entwidmung später dann doch reaktivieren, müsste sie die Kosten für die Sanierung oder den Neubau allein tragen und wäre hinsichtlich der Umsetzung in einer deutlich schlechteren Verhandlungsposition gegenüber der Bahn als heute.

Der VCD rät daher, dass die Stadt die Widmung aufrecht erhält, den Weg freiräumt und die Bahn auffordert, den Tunnel in einen verkehrssicheren Zustand zu überführen. Bis dahin könne die Stadt die Sperrung mit der fehlenden Verkehrssicherheit begründen, was das RP angesichts der von der Stadt angeführten Baumängel einige Zeit lang akzeptieren dürfte.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Option auf eine Reaktivierung bleibt erhalten, der Bedarf kann in Ruhe geprüft und – bei positivem Ergebnis – die Sanierung mit der für die Bahnunterführung verantwortlichen Deutschen Bahn AG abgestimmt werden.,Die Kosten für die Herrichtung der Bahnunterführung, die den „Löwenanteil“ der Sanierung ausmachen dürfte, wären von der Bahn zu tragen.

Was verkehrspolitisch für die Reaktivierung dieser unscheinbaren und vergessenen Fußwegverbindung spricht, ist für den VCD klar: „Rad- und Fußverkehr sind neben dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in der Verkehrspolitik tragende Säulen des „Umweltverbundes“. Zufußgehen verursacht dabei den geringsten Aufwand, individuell ebenso wie in der bereitzustellenden Infrastruktur und beim Platzbedarf. Die Verkehrsplanung sollte daher Fußwege nicht nur als Beiwerk und Abfallprodukt zu Straßen bereitstellen, sondern vorrangig auch auf separaten Wegen, zumal wenn diese schon bestehen und mit wenig Aufwand wieder hergerichtet werden können. Generell verbiete es sich für den VCD, derartige Wegeverbindungen dauerhaft zu kappen. Die Stadt Gießen hätte hier die Chance, mit wenig Aufwand konkret etwas für den Fußverkehr zu tun, der auf alle Verkehrsarten bezogen die schwächste Lobby hat.

Der VCD weist ergänzend darauf hin, dass die Wiedereröffnung des Essiggässchens im Rahmen der Bürgerbeteiligung zum Verkehrsentwicklungsplans (VEP) die am häufigsten gewünschte Maßnahme zu Gunsten des Fußverkehrs war. Es wäre daher absurd, vor dem noch ausstehenden Beschluss des VEP vollendete Tatsachen zu schaffen. Mehr Einsatz für den Fußverkehr wurde kürzlich auch in der Agenda-Gruppe Nachhaltige Mobilität angemahnt. Dem Verkehrsclub ist auch unverständlich, dass das frühere Engagement der Grünen, die sich wie keine andere Partei in der Vergangenheit für die Wiedereröffnung des Essiggässchens eingesetzt hätten, sich in diesem Fall nun im Regierungshandeln bisher nicht niederschlägt, obwohl die Grünen erstmals in der Geschichte der Stadt die stärkste Fraktion stellen und in ihrem Wahlprogramm „eine klare Vorfahrt für Fuß- und Radverkehr“ forderten.

Aus Liebigstraße und Riegelpfad würde das Essiggässchen die Verbindung an die Wieseck herstellen, deren Verlauf von der Wieseckaue bis zur Mündung in die Lahn hier einen Abzweig erhielte. Das grüne Band, das Gießen durchzieht, habe – so der VCD – mit seinen schattenspendenden Bäumen, der Wieseck nebenan und architektonischen Perlen wie der Löberstraße, schon jetzt einen hohen Freizeitwert. Für den Gießener „City Walk“ wäre der Anschluss an das ebenfalls stark durchgrünte Kliniksviertel ein Zugewinn.

Dabei ist den Aktiven im VCD klar, dass die Bahnunterführung nur mit Zusatzaufwand barrierefrei umgebaut werden könnte. Auch ohne Barrierefreiheit wäre das Essiggässchen aber für alle anderen Nutzerinnen und Nutzer von Vorteil. Befürchtungen, die enge Bahnunterführung könnte zu einem „Angstraum“ werden, nimmt der VCD ernst. „Generell werden Unterführungen – gerade nachts - als unsicher und angsteinflößend wahrgenommen und sind es teilweise auch objektiv.“ Doch selbstverständlich gäbe es keinen „Benutzungszwang“ und der Umweg beispielsweise über die Frankfurter Straße stünde auch weiterhin zur Verfügung.

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