Hessen

Gerne bewerten wir aktuelle Mobilitätsthemen in Hessen aus einer ökologischen und nutzerorientierten Perspektive. Wir stehen für TV- und Radio-Statements zur Verfügung.

Für fundierte Hintergrundartikel oder Gastbeiträge vermitteln wir den Kontakt zum Landesvorstand und den hessischen Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats des VCD.
 

Neueste Pressemitteilungen

Landesverband Hessen, Frankfurt & Rhein-Main, Gießen, Pressemitteilung
Landesverband Hessen

Freihalten von Flächen entlang von Schienenstrecken, um zukünftigen Ausbau zu ermöglichen

Offener Brief des VCD Hessen, VCD Kreisverband Gießen und PRO BAHN & BUS

Sehr geehrte Damen und Herren,

um den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen auch im Verkehrssektor endlich zu verringern, ist eine (Rück-)Verlagerung enormer Verkehrsleistungen von der Straße auf die umweltfreundliche Eisenbahn geboten. Wir, die im Absender genannten Verbände, möchten Sie als Abgeordnete, Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker oder als fachlich zuständige Behörde gerne unterstützen und deshalb auf einen Vorfall aufmerksam machen, der diesem Ziel zuwiderläuft.

Die Main-Weser-Bahn stellt – mit Gießen als Knotenpunkt – eine Hauptschlagader des öffentlichen Verkehrs in Hessen dar. Nicht zuletzt aufgrund eines außerordentlich starken Pendlerstroms ins Rhein-Main-Gebiet und des weiter steigenden Güterverkehrs ist die Strecke auch von größter wirtschaftlicher Bedeutung.

In ihrem südlichen Abschnitt zwischen Friedberg und Frankfurt wird die Strecke derzeit auf vier Gleise ausgebaut. Folgerichtig sieht der aktuelle Regionalplan Mittelhessen 2010 in Kapitel 7.1.1 (regionalplantext_2011_02_28.pdf (hessen.de) für die Main-Weser-Bahn auch nach Norden über Friedberg hinaus bis zum Bahnknotenpunkt Gießen verbindlich "die Ausbauoption für ein drittes und viertes Gleis" vor. Der Regionalplan schließt "entgegenstehende Raumansprüche aus" und bestimmt, dass "die unmittelbare Umgebung der Trassen von entgegenstehenden Raumnutzungen freizuhalten ist". Diese eindeutige planerische Festlegung sieht keinerlei Ermessensspielraum vor ("schließt aus", "bestimmt, dass ... freizuhalten ist"), allenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe, die auszulegen sind, um konkret zu beschreiben, welche Flächen für zusätzliche Gleise freizuhalten sind ("entgegenstehende Raumansprüche", "unmittelbare Umgebung"). Mangels Ermessen kann hingegen der grundsätzliche Bedarf an einem dritten oder vierten Gleis regelhaft im Genehmigungsverfahren im Rahmen der Regionalplanung überhaupt keine Rolle spielen. Dies würde ein Abweichungsverfahren zum Regionalplan erfordern.

Das Regierungspräsidium Gießen hat jedoch ohne ein solches Abweichungsverfahren eine Bauleitplanung der Stadt Linden genehmigt, die das geplante Wohnungsprojekt eines privaten Investors im Bahnhofsbereich so nah an die bestehende Trasse heranrücken lässt, dass nach unserer Überzeugung der viergleisige Ausbau der Main-Weser-Bahn verhindert wird. Das Regierungspräsidium setzt sich damit über den Wortlaut und die Bedeutung des Regionalplans hinweg, dessen Hüter es sein sollte.

Die dem Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Kreisverband Gießen hierzu bisher gegebenen Erklärungen sind nicht zutreffend. Das Regierungspräsidium stützt sich einerseits auf Aussagen der Deutschen Bahn und des Eisenbahnbundesamtes, wonach ein vierspuriger Ausbau “derzeit nicht geplant” sei. Diese Aussage beschreibt jedoch lediglich den Status quo. Allen Beteiligten, auch dem Regierungspräsidium, dürfte bekannt sein, dass zukünftiger Bedarf politisch – nicht durch die Bahn – zu entscheiden ist und dass eine Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans ansteht.
Andererseits stellt das Regierungspräsidium fest, dass das lokale Bauvorhaben ein drittes und ein viertes Gleis räumlich nicht ausschließe. Dabei wird der Platzbedarf für die erforderlichen Bahnanlagen nicht ausreichend berücksichtigt. Die dem Regierungspräsidium zur Genehmigung vorgelegten Unterlagen der Stadt Linden weisen erhebliche Mängel auf. Beispielhaft genannt sei hier ein für die Beurteilung maßgebliches Querschnittsprofil der möglichen künftigen Gleisanlagen, das die neuen Bahnsteige als Ersatz für überbaute Bahnsteige nicht berücksichtigt. Eine detaillierte Prüfung durch ein im Eisenbahnbau fachkundiges Ingenieurbüro oder gar die DB ist nicht erfolgt.

Wir gehen zwar im konkreten Fall davon aus, dass wir auf das Bauprojekt in Linden keinen rechtlichen oder politischen Einfluss mehr haben, wollen aber anhand dieses Beispiels und aus gegebenem Anlass auf die grundsätzliche Problematik aufmerksam machen. So wurde beispielsweise in der unmittelbar südlich von Linden gelegenen Gemeinde Langgöns kürzlich eine Bauleitplanung in die Wege geleitet, die ebenfalls die Ausbaumöglichkeiten der Main-Weser-Bahn gefährdet.

Bitte setzen Sie sich auf Bundes- und Landesebene dafür ein, dass der Raum für Bahnanlagen nicht weiterhin beschnitten wird und ehemals für öffentlichen Verkehr genutzte Flächen nicht bebaut werden dürfen. Das gilt auch im Bereich von Linden und Langgöns. Nehmen Sie auf die Verfahrensabläufe politisch Einfluss mit dem Ziel, alle
perspektivisch notwendigen Optionen für den Ausbau der Bahninfrastruktur zu wahren, sei es die Wiederinbetriebnahme von Güteranschlussstellen oder der viergleisige Ausbau der Main-Weser-Bahn.

Wir fordern generell und konkret, dass für die Schiene dieselben Grundsätze gelten wie für Bundesfernstraßen: Hier ist gesetzlich festgelegt, dass Hochbauten jeder Art in einer Entfernung bis zu 40 Meter bei Bundesautobahnen und bis zu 20 Meter bei Bundesstraßen nicht errichtet werden dürfen (vgl. § 9 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz). Österreich hat beispielsweise von Haupt- bis hinunter zu Straßenbahnen einen Bauverbotsbereich von 12 Metern von der äußersten Gleisachse bzw. der Bahnhofsgrenze per Gesetz verankert
(vgl. § 42 Österreichisches Eisenbahngesetz). Der Entwurf des künftigen Regionalplans Mittelhessen sieht einen freizuhaltenden beidseitigen Korridor von 15 Metern zur bestehenden Gleisanlage vor. Wir fordern darüber hinaus, die Pläne zum Ausbau der A45 und A5 auf sechs bzw. acht Fahrstreifen nicht weiter zu verfolgen, da sie den Klimaschutzzielen entgegen stehen.

Hintergrundinformationen zur Situation in Großen Linden an der Main-Weser-Bahn enthält der von Jürgen Lerch (Fahrgastverband Pro Bahn & Bus) aus der Verbandszeitschrift Hessenschiene – Hessenschiene Pro Bahn & Bus e.V. (probahnbus.de), Ausgabe Nr.131).
Für weitere Informationen und Rückfragen stehen wir gern zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen
Till Schäfer, VCD Hessen, Landesvorstandsmitglied
Dietmar Jürgens, VCD Hessen, Kreisverband Gießen, Vorstand
Jürgen Lerch, Pro Bahn & Bus e.V., Vorstand

Kontaktadresse:
VCD Hessen e. V., Wilhelmsstraße 2, 34117 Kassel
kontakt@vcd-hessen.de | www.hessen.vcd.org

 

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