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Der Kreisverband Gießen des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) unterstützt den wohnungswirtschaftlich begründeten Vorstoß des Mietervereins Gießen zur Anpassung der Gießener Stellplatzsatzung.
Die Zurückweisung durch den Magistrat sei nicht ausreichend begründet, so der VCD in einer Pressemitteilung. Zwar mache die Stadt Gießen tatsächlich von der Ausnahmeregelung in § 3 Abs. 4 der Satzung Gebrauch, einzelfallbezogen den Stellplatzbedarf herunterzusetzen. Jedoch wäre eine generelle Absenkung z.B. nach Marburger Muster auf grundhaft 1,0 bis 1,1 Stellplätze je Wohneinheit (Gießen derzeit 2,0 bzw. 1,5) effektiver und in der Prüfung weniger aufwändig. Die Marburger Satzung teilt das Stadtgebiet zudem noch in verschiedene Gebietszonen auf, in denen eine weitere Reduzierung des Stellplatzbedarfs um bis zu 70% ebenso pauschal vorgesehen ist wie eine darüber sogar noch hinausgehende Bedarfsminderung bei Vorliegen eines geeigneten Mobilitätsmanagements. Beispielhaft nennt die Marburger Satzung die Nutzung von Semester- und Job-Tickets, die Errichtung und Einbindung von Carsharing-Stationen und Projekte des autoarmen und autofreien Wohnens. Für jeden Stellplatz, der einem Carsharing-Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, kann dort die Anzahl herzustellender Stellplätze um bis zu drei verringert werden (§ 10 Abs. 3 Stellplatzsatzung Marburg).
„Alle Welt redet von Bürokratieabbau, doch Gießen sieht eine Reduzierung der Stellplätze nur nach aufwändiger Einzelfallprüfung und Ermessensausübung vor und das, ohne – wie in Marburg - die Kriterien hierfür verbindlich zu definieren“. Das stelle die jeweiligen Entscheidungen ins Belieben des Magistrats und entziehe sie der demokratischen Kontrolle durch das Stadtparlament.
„Gerade auch aus ökologischer und verkehrspolitischer Sicht bedarf die Stellplatzsatzung der Überarbeitung“, so der VCD. „Im Jahr 2018 gab es in Gießen durchschnittlich 0,9 Pkw pro Haushalt, die derzeitige Satzung verlangt aber zwei bzw. 1,5 Stellplätze je Wohneinheit und bereitet damit einem im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum überproportionalen Zuwachs des Kfz-Bestandes den Boden oder sorgt – beim ja gewünschten Umstieg auf ÖPNV und Fahrrad - perspektivisch für leerstehende Stellplätze.“ Die Stellplatzsatzung sei damit wenig vorausschauend und zukunftsorientiert und stehe klar im Widerspruch zu der doch auch von der Gießener Stadtregierung postulierten Verkehrswende.
So konterkariere die Stadt Gießen auch die im Zusammenhang mit dem Wohnungsbau stehenden eigenen sinnvollen verkehrspolitischen Ansätze wie ÖPNV-Anbindung der Quartiere, Radwegebau, Carsharing- und Lastenrad-Angebote. „Doch nicht nur ökologisch, sondern auch gesamtwirtschaftlich“ so der VCD weiter, „ist es natürlich Unsinn, einerseits mit öffentlichen Mitteln den „Umweltverbund“ (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) finanziell zu fördern, gleichzeitig aber Bauherren zu verpflichten, bei Neubauten unnötig viele Kfz-Stellplätze zu bauen.
„Die bestehende Regelung ist auch sozial ungerecht“, so der VCD, „denn 51% der nicht erwerbstätigen Personen in Gießen besitzen lt. „Mobilitätssteckbrief Gießen“ der TU Dresden für das Jahr 2018 gar kein Auto, müssen aber dennoch über die Miete anteilig für Stellplatzkosten aufkommen. Werden Stellplätze hingegen kostenpflichtig vermietet, stehen sie teils „großflächig“ leer, weil Mieter, die Autos besitzen, dann – statt hierfür zu bezahlen - legal oder illegal im öffentlichen Straßenraum parken.
Dass sich der Parkdruck in den Straßen durch private Stellplätze oftmals nicht reduziert, ist auch rund um die öffentlichen Parkhäuser zu beobachten. Ob am Bahnhof oder in der Innenstadt: Die Gießener Parkhäuser stehen teils leer, während die umliegenden Straßen zugeparkt sind. Wenn im Straßenraum keine oder zu niedrige Parkgebühren erhoben werden und das Falschparken nicht konsequent geahndet wird, führen private Stellplätze nicht zu den erhofften Verbesserungen in den Straßen der Quartiere. “
Hierzu der VCD weiter: „Man kann den Verkehrsraum durchaus so gestalten und durch Kontrollen sicherstellen, dass Autos regelkonform abgestellt werden.“ Das funktioniere auch in anderen Städten, setze aber voraus, dass der Magistrat die Ordnungspolizei personell besser aufstellt und für diese Aufgabe nachhaltig motiviert. „Das A und O sind neben diesen „Leitplanken für den Kfz-Verkehr“ aber vor allem akzeptable Alternativen. Beides gehört zusammen.“ Gerade weil das ÖPNV-Angebot in den Quartieren unterschiedlich gut sei und weil in der Gießener Innenstadt hunderte freie Parkplätze in den Parkhäusern existieren, hält der VCD eine deutliche Reduzierung der bei Neubauten zu schaffenden Kfz-Stellplätze in Gebieten mit guter ÖPNV-Anbindung für besonders wichtig, so wie dies auch in vielen Städten wie z. B. Frankfurt, München und Marburg in den Stellplatzsatzungen verankert ist.
Überdies sei „bemerkenswert, wie der Gießener Magistrat den Koalitionsvertrag der ihn tragenden Parteien missachtet“, so VCD-Vorstand Dietmar Jürgens. Darin heißt es, wenn auch wenig konkret: „Um den Verkehr zu beruhigen und klimagerechter zu gestalten, wollen wir … die Stellplatzsatzung reformieren.“ Der Koalitionsvertrag jährt sich im Juni nun zum dritten Mal. Doch offenbar fehlt es nicht nur im Magistrat sondern auch in den ihn tragenden Parteien und Fraktionen am Willen, den Klimaschutz in diesem konkreten Punkt zur Geltung zu bringen und nebenbei zum Bürokratieabbau beizutragen. „Wenn man nur lange genug wartet und alle Baulücken geschlossen sind“, so der VCD sarkastisch in seiner Pressemitteilung, „hat sich das Thema Klimaschutz beim Thema Stellplätze weitgehend erledigt.“
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