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Landesverband Hessen

Verkehrspolitische Bilanz zu 1 Jahr Schwarz-Grün: Es fehlt noch an Tempo

16. Januar 2015 - Die verkehrspolitischen Erwartungen an die neue schwarz-grüne Landesregierung waren hoch. Nach einem Jahr zieht der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) jetzt eine erste Bilanz. Auf der Habenseite stehen die eingeleitete Umschichtung von Mitteln vom Autoverkehr zum ÖPNV und die Einrichtung einer Koordinationsstelle für Rad- und Fußverkehr im Ministerium. Negativ schlagen weiterhin der Fluglärm und das Festhalten an teuren Prestige-Projekten zu Buche. Viele Weichen seien zwar in die richtige Richtung gestellt, es fehle aber an Tempo.

Positiv

  • Hessen hat sich im Bundesrat engagiert für eine angemessene ÖPNV-Finanzierung durch den Bund eingesetzt und war maßgeblich an der Einigung aller 16 Bundesländer auf einen neuen Verteilungsschlüssel für die Regionalisierungsmittel – wichtigste Stütze der ÖPNV-Finanzierung – beteiligt.

  • Den Grundsatz „Sanierung vor Neubau“ nimmt die Landesregierung ernst: Dieses Jahr ist kein Straßen-Neubauprojekt geplant. Das Geld soll sinnvollerweise in die Erhaltung der vorhandenen Infrastruktur fließen.

  • Die Mittel, die vom Bund zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse zur Verfügung gestellt werden (Entflechtungsmittel / GVFG-Mittel), verteilt Hessen 2015 gleichgewichtig auf den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) und den kommunalen Straßenbau. Die Vorgängerregierung hatte den Straßenverkehr noch deutlich bevorzugt. In Zukunft sollte eine jedoch stärkere Gewichtung in Richtung des ÖPNV erwogen werden. Jahrzehnte der Vernachlässigung haben den Schienenverkehr an seine Kapazitätsgrenzen gebracht und den ÖPNV im ländlichen Raum einem Problemfall gemacht.

  • Im Verkehrsministerium gibt es jetzt eine Koordininerungsstelle für die Förderung des Rad- und Fußverkehrs: Das neue Referat 'ÖPNV und Nahmobilität' ist eingerichtet und personell besetzt.

  • Außerdem wurde im Ministerium ein eigenes Referat 'Fluglärmreduzierung' eingerichtet.

  • Eine langjährige Forderung des VCD ist endlich in der Umsetzung: Die für Pendler und Touristen wichtige Bahnstrecke Korbach-Frankenberg wird reaktiviert. Das Verkehrsministerium steuert insgesamt mehr als 20 Millionen Euro für Strecke und Bahnhöfe bei.

  • Das Land Hessen ist der Planungsgesellschaft für die Regionaltangente West beigetreten. Das Schienenbau-Projekt soll in Zukunft für schnellere S-Bahn-Verbindungen im Frankfurter Westen und eine Entlastung des störanfälligen City-Tunnels sorgen.

  • Schwarz-Grün hat sich im Koalitionsvertrag zum Bau der Nordmainischen S-Bahn bekannt. Dass das Land kürzlich 3 Millionen Euro für die Sicherung eines wichtigen Baufelds im Frankfurter Osten ausgegeben hat, ist für den VCD ein klares Zeichen, dass es dieses Versprechen ernst meint.

  • Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Florian Rentsch (FDP) erlaubt der neue Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) den Kommunen mehr Freiheiten für Geschwindigkeitsbegrenzungen. Was im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, hat sich vor wenigen Tagen auch in der Praxis gezeigt: Das Regierungspräsidium hat die Einführung von Tempo 30 auf der Königsteiner Straße in Frankfurt-Unterliederbach genehmigt. Der VCD Hessen sieht Tempo 30 als wirksames Instrument für weniger Lärm und mehr Verkehrssicherheit und ermutigt Schwarz-Grün, diesen Kurs fortzusetzen. Ziel sollte eine in der StVO veränkerte, stärkere Selbstbestimmung der Städte und Kommunen - auch auf innerorts gelegenen Landes- und Bundesstraßen – oder gar eine Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 innerorts sein.

Negativ

  • Hessen stellt keine Eigenmittel für Verbesserungen im ÖPNV zur Verfügung, wie es beispielsweise Baden-Württemberg tut.

  • Die Straßenverkehrsplanung durch Hessen Mobil und die ÖPNV-Planung durch die Aufgabenträger im ÖPNV wird von den verschiedenen Akteuren noch nicht gemeinsam, im Sinne der Verkehrsvermeidung gedacht. Integrierte Verkehrsplanung ist in Hessen noch eine große Unbekannte.

  • Lebensqualität steht noch immer unter Geschwindigkeit. Jüngstes Beispiel: Die Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der A 648 im Frankfurter Westen durch die Vorgängerregierung hat die Lärmbelastung der Anwohner erhöht. Die jüngste Bitte der dort lebenden Menschen, die Begrenzung wieder einzuführen, wurde von Hessen Mobil abgelehnt, obwohl die Erhöhung der Geschwindigkeit auf der Teilstrecke von nur wenigen Kilometern keinen nachweislichen Nutzen zur Verbesserung des Verkehrsflusses gebracht hat.

  • Das Rhein-Main-Gebiet ist auch ein Jahr nach der schwarz-grünen Regierungsübernahme weiterhin vom Fluglärm geplagt. Ob die nun vorgestellten Lärmpausen-Modelle das spürbar ändern werden, ist für den VCD zweifelhaft. An der Belastung würde sich nur etwas ändern, wenn endlich die überholte Drehkreuzfunktion aufgegeben werde, die künstlich Umsteigeverkehr in Frankfurt erzeuge.

  • Der VCD kritisiert, dass die Autobahnen A44 und A49 unter Schwarz-Grün weiter- bzw. fertiggebaut werden.

  • Zwar gibt es nun ein Referat für Nahmobilität, aber Geld für die Fuß- und Radverkehrsförderung fließt bisher kaum: Die im Haushalt 2015 eingeplanten 1,15 Mio. Euro reichen laut ADFC-Berechnung gerade mal für 3 neue Radwege, während der Bedarf bei 160 liege. An Verbesserungen im Fußverkehr darf da wohl gar nicht mehr gedacht werden.

  • Hessen fehlt auch unter der neuen Regierung ein Verkehrssicherheitsprogramm mit konkreten Zielen. Demgegenüber haben alle sechs Nachbarländer konkrete quantitative Ziele zur Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten festgelegt. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bekennen sich sogar langfristig zu der auch vom VCD propagierten Vision Zero (null Verkehrstote).

Ambivalent

  • Das teure und aus VCD-Sicht überflüssige Prestige-Projekt Terminal 3 am Frankfurter Flughafen droht nach wie vor gebaut zu werden. Immerhin hat Verkehrsminister Al-Wazir nun eine unabhängige Bedarfsprüfung durchführen lassen und folgt damit einer Forderung des VCD.

  • Die neue Staffelung der Lärm-Entgelte am Flughafen Frankfurt geht zwar für den VCD in die richtige Richtung, reiche aber noch lange nicht aus. Die Spreizung sei zu gering, als dass sich für die Fluggesellschaften der Umstieg auf leisere Jets wirklich lohne.

  • Das knappe Geld muss effektiver eingesetzt werden. Beispiel: S-Bahn-Station am neuen Bürostandort Gateway Gardens am Frankfurter Flughafen. Wegen der aufwändigen Bauweise kostet das Prestige-Projekt 223 Millionen Euro. Für den VCD ist das Geld, das anderswo effizienter für die Verkehrswende hätte angelegt werden können. Grundsätzlich hält der VCD es zwar für richtig, neue Arbeitsplatz- und Wohn-Standorte bestmöglich per ÖPNV zu erschließen. Statt der Bündelung von Gewerbe- und Büro-Standorte sollten in Zukunft jedoch Siedlungsstrukturen geschaffen werden, die Verkehr von vornherein weniger konzentrieren und ihn sogar reduzieren („Stadt der kurzen Wege“).

  • Deutschlands sinnlosester Flughafen Kassel-Calden belastet weiter öffentliche Haushalte – aber Erkenntnis wächst, dass es so nicht weitergehen kann. Im Dezember machte auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Boddenberg deutlich, dass Calden „nicht um jeden Preis“ gehalten werden dürfe. Der VCD fordert, hier so schnell wie möglich die Notbremse zu ziehen, Calden vom Regionalflughafen zum Verkehrslandeplatz zurückzustufen und keine weiteren Steuergelder zu verbrennen.

Mehr Tempo nötig

  • Im Koalitionsvertrag verspricht Schwarz-Grün, sich für den 'Hessentakt' einzusetzen, also einen integrierter Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild mit optimierten Umsteigezeiten. Der VCD erwartet, dass der Hessentakt so schnell wie möglich angepackt wird.

  • Ebenfalls bei einer Ankündigung geblieben ist es bisher beim Schülerticket. Derzeit herrscht noch ein Wildwuchs an verschiedenen Karten und Systemen. Die angekündigte Auswertung der Ist-Situation und Vorschläge für die Veränderung stehen noch aus. Der VCD plädiert für ein einheitliches System, die mögliche Nutzung durch alle Schülerinnen und Schüler und nicht nur einen begrenzten Kreis von Nutznießern. Vorbild könnte das Semesterticket für Studierende sein.

  • Angestrebt, aber noch nicht umgesetzt ist das Jobticket für Landesbeschäftigte. Da das Land mit 130.000 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber Hessens ist, wäre dies ein starker Impuls für die Verkehrswende.

Fazit des Landesvorsitzenden

Der VCD-Landesvorsitzende Mathias Biemann kommentiert das erste Jahr Schwarz-Grün: „Gerade im Transit- und Pendlerland Hessen wünschen sich die Menschen die Verkehrswende herbei. Verstopfte Straßen, überfüllte Züge, schlechte Luftqualität, steigende Lärmbelastung und rund 200 Verkehrstote jedes Jahr allein in Hessen sind die Konsequenzen jahrzehntelanger Fehlplanung. Die Ankündigungen im Koalitionsvertrag stimmen uns optimistisch, aber Papier alleine wird nichts erreichen. Die Landesregierung muss jetzt zügig Taten folgen lassen.“

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