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Gießen
Die Landesverbände des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), der VCD-Kreisverband Gießen und der Fahrgastverband Pro Bahn & Bus haben sich auf Initiative der Gießener Verbände in einem offenen Brief gemeinsam an alle für die Verkehrspolitik in Bund und Land verantwortlichen Stellen und Abgeordneten gewandt, vom Bundesminister für Verkehr Dr. Volker Wissing, über den zuständigen Landesminister Tarek Al Wazir bis hin zu den fachlich oder regional für Mittelhessen zuständigen Abgeordneten der in den Parlamenten vertretenen Parteien.
Zentraler Punkt des Schreibens ist die Forderung nach Freihaltung der für einen Streckenausbau der Bahn akut oder perspektivisch benötigten Korridore, die die Verbände derzeit bundesweit rechtlich und politisch nicht gewährleistet sehen. Aufhänger für ihren Vorstoß war für die Gießener Aktiven die Bauleitplanung der Stadt Linden, die Wohnbebauung in unmittelbarer Nähe des dortigen Bahnhofs und so nah an den Bahngleisen zulassen will, dass ein Ausbau der Main-Weser-Bahn deutlich erschwert wenn nicht unmöglich gemacht werde. Die Main-Weser-Bahn stelle – mit Gießen als Knotenpunkt – eine Hauptschlagader des öffentlichen Verkehrs in Hessen dar. Nicht zuletzt aufgrund eines außerordentlich starken Pendlerstroms in das Rhein-Main-Gebiet sowie des weiter steigenden Güterverkehrs ist die Strecke auch von größter wirtschaftlicher Bedeutung. In ihrem südlichen Abschnitt zwischen Friedberg und Frankfurt wird die Strecke derzeit auf vier Gleise ausgebaut. Folgerichtig sieht der aktuelle Regionalplan Mittelhessen 2010 in Kapitel 7.1.1 für die Main-Weser-Bahn auch nach Norden über Friedberg hinaus bis zum Bahnknotenpunkt Gießen verbindlich "die Ausbauoption für ein drittes und viertes Gleis" vor. Der Regionalplan schließt "entgegenstehende Raumansprüche aus" und bestimmt, dass "die unmittelbare Umgebung der Trassen von entgegenstehenden Raumnutzungen freizuhalten ist". Das Regierungspräsidium Gießen habe dennoch inzwischen die hiermit nicht konforme Bauleitplanung der Stadt Linden genehmigt. Damit setze sich „das Regierungspräsidium ... über den Wortlaut und die Bedeutung des Regionalplans hinweg, dessen Hüter es sein sollte.“ Die dem Kreisverband Gießen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) hierzu gegebenen Erklärungen seien irrelevant oder nicht zutreffend: Einerseits stütze sich das RP auf Aussagen der Deutschen Bahn und des Eisenbahnbundesamtes, wonach ein vierspuriger Ausbau “derzeit nicht geplant” sei. Diese Aussage beschreibe jedoch lediglich den Status quo. Allen Beteiligten, auch dem Regierungspräsidium, dürfte hingegen bekannt sein, dass zukünftiger Bedarf politisch – nicht durch die Bahn – zu entscheiden ist und dass insoweit eine entsprechende Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans ansteht. Soweit das Regierungspräsidium überdies feststelle, dass das lokale Bauvorhaben ein drittes und ein viertes Gleis räumlich nicht ausschließe, werde hierbei der Platzbedarf für die erforderlichen Bahnanlagen nicht ausreichend berücksichtigt. Die dem Regierungspräsidium zur Genehmigung vorgelegten Unterlagen der Stadt Linden weisen nach Überzeugung der Verbände erhebliche Mängel auf. Beispielhaft genannt sei hier ein für die Beurteilung maßgebliches Querschnittsprofil der möglichen künftigen Gleisanlagen, das notwendige neue Bahnsteige als Ersatz für überbaute Bahnsteige nicht berücksichtigt. Auch fehle „eine detaillierte Prüfung durch ein im Eisenbahnbau fachkundiges Ingenieurbüro oder gar die DB“. Hierauf zu verzichten, sehen die Verbände als sträfliche Nachlässigkeit. Pro Bahn & Bus und der VCD sehen für sich keine Handhabe gegen die Planung noch rechtlich Einfluss zu nehmen und haben sich daher entschlossen, die Problematik nun politisch anzugehen, zumal sie auch andernorts jederzeit auftreten könne. So wird beispielsweise in der unmittelbar südlich von Linden gelegenen Gemeinde Langgöns ebenfalls eine Bauleitplanung diskutiert, die die Ausbaumöglichkeiten der Main-Weser-Bahn gefährdet. Pro Bahn & Bus und der VCD erwarten von den angesprochenen Ministerien und Abgeordneten, auf die Verfahrensabläufe politisch Einfluss zu nehmen „mit dem Ziel, alle perspektivisch notwendigen Optionen für den Ausbau der Bahninfrastruktur zu wahren, sei es die Wiederinbetriebnahme von Güteranschlussstellen oder der viergleisige Ausbau der Main-Weser-Bahn.“ Die Verbände fordern konkret, „dass für die Schiene dieselben Grundsätze gelten wie für Bundesfernstraßen: Hier ist gesetzlich festgelegt, dass Hochbauten jeder Art in einer Entfernung bis zu 40 Meter bei Bundesautobahnen und bis zu 20 Meter bei Bundesstraßen nicht errichtet werden dürfen (vgl. § 9 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz).“ Österreich habe beispielsweise von Haupt- bis hinunter zu Straßenbahnen einen Bauverbotsbereich von 12 Metern von der äußersten Gleisachse bzw. der Bahnhofsgrenze per Gesetz verankert (vgl. § 42 Österreichisches Eisenbahngesetz). Der Entwurf des künftigen Regionalplans Mittelhessen sieht einen freizuhaltenden beidseitigen Korridor von 15 Metern zur bestehenden Gleisanlage vor. Die Verbände fordern außerdem, „die Pläne zum Ausbau der A45 und A5 auf sechs bzw. acht Fahrstreifen nicht weiter zu verfolgen, da sie den Klimaschutzzielen entgegen stehen.“ In Ihrem Schreiben verweisen VCD und Pro Bahn & Bus als Hintergrundinformation zur Main-Weser-Bahn auf den Artikel von Jürgen Lerch (Fahrgastverband Pro Bahn & Bus) aus der Verbandszeitschrift Hessenschiene – Hessenschiene Pro Bahn & Bus e.V. (https://www.probahnbus.de/hessenschiene-lang) , Ausgabe Nr.131).