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Landesverband Hessen

Kant statt Jung von Matt: Selber denken im Verkehr - Geht das?

Die üblichen Rituale wirken nicht. Umweltverbände fordern strengere Regeln von der Obrigkeit, die sich aber regelmäßig wegen der Arbeitsplätze und Wählerstimmen drückt und lieber noch ein paar Auto- und Landebahnen baut. Wie aber lässt sich die fortschreitende mobile Aufrüstung der Gesellschaft bremsen?

Viel geredet wird über den Klimawandel – wenig allerdings darüber, dass es maßgeblich die motorisiert mobilen Menschen sind, die unsere Atmosphäre immer heißer und heißer werden lassen.

» Euphorische Bekenntnisse zum Klimaschutz werden konsequent durch den Lebensstil widerlegt «

Manch kluge Soziologen haben inzwischen erkannt, dass die üblichen Rituale nicht wirken. Umweltverbände fordern strengere Regeln von der Obrigkeit, die sich aber regelmäßig wegen der Arbeitsplätze und Wählerstimmen drückt und lieber noch ein paar Auto- und Landebahnen baut. Unmittelbar persönlich betroffene, wütende Bürger äußern lautstark ihren Protest, ehe sie heimlich selber ins „Premium“-Auto, in den Ferienflieger oder das Kreuzfahrtschiff steigen. Euphorische Bekenntnisse zum Klimaschutz werden konsequent durch den Lebensstil widerlegt. So wird das nichts mit der Verkehrswende.

Die Mobilitätsgewohnheiten lassen auf eine schon von Emanuel Kant beklagte Unmündigkeit schließen. Gerade das Volk der Dichter und Denker überlässt das Denken bewährten Vordenkern wie Amazon, Audi oder Apple. Dank deren unermüdlicher Suggestivwerbung haben sich allseits Konsumgewohnheiten etabliert, deren katastrophale Nebenwirkungen nach dem Motto „macht doch jeder so“ gerechtfertigt, nein: gar nicht mehr wahrgenommen werden. Dieses bewährte Verhaltensmuster hat uns von den Mühen um Anstand, Verstand, Ethik, Moral, Kultur oder Rücksicht befreit, zielt dafür auf unser menschliches Bedürfnis nach Geltung, Macht und Selbstdarstellung. Und nach Individualisierung.

Besonders drastisch machen sich diese Sitten im Verkehr bemerkbar. Müßig, jetzt auf anschwellende Blechlawinen, Flugzeug- und Kreuzfahrtschiffsflotten und deren Umwelt- und Klimaeffekte einzugehen. Dem Drang nach Geltung und Individualisierung folgend gelingt es, immer größere Autos, immer weitere Flug- und Schiffsreisen zu vermarkten. Wie aber lässt sich die fortschreitende mobile Aufrüstung der Gesellschaft bremsen?

» Das so erfolgreiche Vertriebssystem funktioniert, weil es stets weiterer Konsumausgaben bedarf, sobald der Nachbar das gleiche oder gar ein größeres Auto hat «

Das so erfolgreiche Vertriebssystem funktioniert, weil es stets weiterer Konsumausgaben bedarf, sobald der Nachbar das gleiche oder gar ein größeres Auto hat und auch schon in Neuseeland war. Die latente Unzufriedenheit unserer Konsumgesellschaft beflügelt das Geschäft.

Hier sollte man ansetzen. Individualisierung gelingt nämlich viel besser durch Abrüstung als durch permanente Aufrüstung. Das persönliche Profil gewinnt nämlich in der Konsumgesellschaft nur durch gezielte Konsumverweigerung.

Es wäre ein durchaus Aufsehen erregendes, unser Ego stützendes Mobilitätsverhalten vorstellbar:

  • Ohne Hund an der Leine zu Fuß unterwegs!
  • Radfahren nicht als Leistungssport, sondern für den Weg zum Job!
  • Mit Urlaubsgepäck im ICE nicht zum Frankfurter Flughafen, sondern Richtung Ost-, Boden- oder Nordsee! KEIN „Fraport“-Anhänger am Koffer!
  • Mit nur 30 durch die 30-Zone!

Die Individualisierung durch Enthaltsamkeit spart zudem eine Menge Geld, das man dann für Kulturgüter aller Art ausgeben kann und so zugleich mehr Bildung, mehr persönliches Profil und mehr neue Arbeitsplätze bewirkt, als sie die Autoindustrie je schaffen wird.

» Bankdirektoren und Drogendealer bevorzugen dieselben Premium-Kampfmaschinen «

Die Realität sieht anders aus: Chefärzte, Zuhälter, Bankdirektoren und Drogendealer bevorzugen dieselben Premium-Kampfmaschinen. Die größte Volkspartei beauftragt die erfolgreichste Autowerbeagentur* für den Bundestagswahlkampf. Verblödung statt Aufklärung des Wahlvolks ist angesagt. Also alles vergebens?

Immerhin hat mancherorts eine urteilsfähige Gesellschaft die Verkehrswende schon weit vorangetrieben. Sind wir Frankfurter, Wiesbadener, Offenbacher tatsächlich so viel unfähiger als die Wiener, Kopenhagener, Freiburger…? Wäre eine bundesweite Kampagne zum Selber-Denken im Verkehr wirklich nur politischer Selbstmord?

Oder könnte geistige Mobilität doch die motorisierte ersetzen?

*) Jung von Matt (Audi, Porsche, BMW, Mercedes…)

Kolumne von Werner Geiß, VCD-Landesvorstand

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