Hessen

Frankfurt & Rhein-Main

Anmerkungen zu 1 Jahr Koalitionsvertrag von CDU, SPD und Grünen in Frankfurt am Main

Die Stadt wächst mit hohem Tempo. Die Bewohner*innen brauchen, neben Wohnungen, umfangreichere öffentliche Mobilitätsangebote, damit die Stadt nicht am sonst wachsenden Motorisierten Individualverkehrs erstickt.

Richtige Akzente setzt das Kapitel Planung und Wohnungsbau (Zeile 458 ff). Hier wird vom „vorgezogenen Ausbau der ÖV-Verkehrserschließung sowie der sozialen Infrastruktur“ (Zeile 480 ff.) gesprochen. Eine gute soziale Infrastruktur ist die Voraussetzung für die Stadt der kurzen Wege und jeder durch eine gute ÖV-Erschließung vermiedene Auto-Stellplatz macht das Wohnen erschwinglicher. Denn Tiefgaragenplätze verteuern den Wohnungsbau um mehr als 10%.

Die neue Stellplatzsatzung der Stadt eröffnet Spielräume, dieses Potential zu erschließen. Die Möglichkeit, auf Stellplätze ablösefrei verzichten zu können, wenn der Bedarf „durch besondere Maßnahmen nachhaltig verringert wird“, bietet Chancen für den Ausbau von flächendeckenden Sharing-Angeboten.

In anderen Städten ist es schon Praxis, den Aufbau von Mobilitätsstationen mit Bauträgern und Eigentümern vertraglich zu sichern. Solche Stationen können das Mobilitätsangebot rund um die Uhr ergänzen und eine gute Alternative zum eigenen Auto bieten.

Im öffentlichen Raum platziert, kann auch jede Anwohner*in die Fahrzeuge nutzen. Das wirkt sich positiv auf den Flächenverbrauch aus und senkt den Parkdruck. Denn durch ein Sharing-Fahrzeug werden mindestens vier bis acht Privat-Pkw ersetzt.

Die Stationen könnten außerdem eine gute Basis und Werbung für den Ausbau der Elektromobilität mit Fahrrad und Auto sein. www.zukunftsnetz-mobilitaet.nrw.de/sites/default/files/downloads/2015-10-14_handbuch_mobilstationen_nrw_download_neu.pdf

Dagegen ist der Bau neuer Quartiersgaragen (Zeile 1594) eine kostspielige Lösung, die den Parkdruck kaum zu mindern vermag. Denn die Garagenstellplätze ersetzen die Parkplätze in den Straßen nur eins zu eins und werden oft gemieden, solange Hoffnung auf einen kostenlosen Parkplatz im Straßenraum besteht.

Wer Quartiersgaragen effizient nutzen und betreiben will, muss daher auch Gebühren für die Straßen-Parkplätze im Quartier erheben. Die DIFU-Publikation „Push & Pull – 16 gute Gründe für Parkraummanagement“ bereitet das Thema sachlich auf. <link http: www.difu.de publikationen push-pull.html>www.difu.de/publikationen/2015/push-pull.html

Positiv ist das Bekenntnis zu mehr Kontrollen gegen Falschparker auf Rad- und Gehwegen (Zeile 1594). Konsequent wäre es aber, auch die bestehenden Regelungen zum Gehwegparken zu überprüfen. Denn nach einer Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung ist: „Das Parken auf Gehwegen … nur zugelassen … wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt, www.sicherestrassen.de/VKZKatalog/Kat315.htm

Emissionsfreie motorisierte Mobilität bietet derzeit nur der schienengebundene Nahverkehr. Bis eine ausreichende Anzahl anderer Elektro-Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs ist, wird noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Doch auch dann müssen gut verknüpfte, in dichtem Takt verkehrende Straßen- und U-Bahnlinien und emissionsfreie Busse die Hauptlast des innerstädtischen Verkehrs übernehmen, sonst sind die Ziele des „Masterplan 100% Klimaschutz“ nicht zu erreichen. www.masterplan100.de/kacheln/masterplan-100-klimaschutz-frankfurt-am-main

Der Koalitionsvertrag geht im Kapitel zum Masterplan (Zeile 939 ff.) leider nicht auf den Verkehr ein, obwohl der eine gewichtige Rolle für den Plan spielt. Der Verkehr ist der einzige Energieverbrauchssektor, der es seit 1990 nicht geschafft hat, den Ausstoß von Treibhausgasen nennenswert zu reduzieren!

Dafür sind die Vorschläge der Koalition zum Ausbau des Straßenbahnnetzes (Zeilen 1544 und 1550 ff.) begrüßenswert. Die Straßenbahnringlinie ist eine schon lange im Gesamtverkehrsplan vorgesehene Weiterentwicklung des Netzes und überfällig. Die Verlängerung der Linie 16 nach Offenbach, auch als Parallele zum hoch belasteten S-Bahn-Tunnel, wäre sinnvoll und für Oberrad und Offenbach ein Gewinn. Im Verkehrsnetz der Stadt erscheinen auch die vorgeschlagenen oder bereits begonnenen Verlängerungen der U-Bahn-Linien sinnvoll (Zeile 1533 ff.). Bei neuen Erschließungen sollte aber die Straßenbahn mit Vorrang betrachtet werden, da sie schneller und kostengünstiger zu errichten und zu betreiben ist als eine U-Bahn. Der Bau der Ringstraßenbahn sollte durch die Planung des Stadtbahnnetzes zwischen Bockenheim und Ginnheim nicht weiter verzögert werden.

Damit der ÖPNV tatsächlich „mit dem starken Bevölkerungswachstum, der demografischen Entwicklung und den sich wandelnden Mobilitätsansprüchen … Schritt hält“ (Zeile 1559 ff.) wird es aber noch mehr brauchen.

So fehlen Überlegungen die Straßenbahn auch über die Stadtgrenze hinaus, nach Neu- Isenburg und Bad Vilbel weiterzuführen. Neu Isenburg steht einer solchen Verlängerung offen gegenüber und nach Bad Vilbel herrscht, wie die Kontroversen um den Individualverkehr am Heiligenstock oder in Seckbach zeigen, Bedarf nach einer schnellen, direkten ÖV-Verbindung zwischen den beiden Städten.

Innerstädtisch wären relativ kurzfristig Verbesserungen durch ein umfangreicheres Busliniennetz, durch neue Radial- und Tangentialverbindungen und den Vorrang für Busse und Bahnen möglich. Doch die im Vertrag erwähnte Fortsetzung des Beschleunigungsprogramms (Zeile 1558) stockt seit mehr als einem Jahrzehnt.

Zuletzt wurde in der Bestandsanalyse zum neuen Nahverkehrsplan der Stadt darauf hingewiesen, dass „Potenziale einer konsequent ganzheitlichen Beschleunigung ... bisher nur eingeschränkt ausgeschöpft“ wurden und „nicht ausgeschöpfte Potenziale bei der ÖPNVBeschleunigung ... direkte ökonomische Effekte“ zur Folge haben.

Der Beschleunigung muss daher eine ähnliche Priorität eingeräumt werden wie dem barrierefreien Ausbau (Zeile 1571).

Um das Bedienangebot tatsächlich zu verbessern, sollte das Taktschema des ÖPNV konsequent auf einen Integralen Taktfahrplan umgestellt werden, mit Knoten-Haltestellen die einen schnellen Umstieg in alle Richtungen ermöglichen, so dass die Reisezeit von Türzu- Tür beschleunigt wird.

Ergänzend wäre der Aufbau von Bike- und Car-Sharing-Angeboten an den U-Bahn- und S-Bahn-Stationen innerhalb und außerhalb der Stadt wünschenswert. Hier sei nochmals auf die möglichen Vorzüge von Mobilitätsstationen hingewiesen.

Generell sollte beim wichtigen Thema S-Bahnen stärker Einfluss genommen werden, um die Anschlusssicherung innerhalb und außerhalb von Frankfurt zu verbessern. Ein weiterer S-Bahn-Tunnel, der in der jüngeren Vergangenheit ins Gespräch gebracht wurde, bietet keine zeitnahe Perspektive den ÖPNV von Störungen zu entlasten und leistungsfähiger zu machen, weil seine Fertigstellung in den nächsten drei Jahrzehnten nicht zu erwarten ist.

Stadt und Land sollten stattdessen mehr daran setzen, um Bund und Bahn endlich zur Beseitigung der Engpässe im für den Schienenverkehr so wichtigen Knoten Frankfurt zu bewegen (Zeile 1514).

Die S-Bahn auch bei Nacht fahren zu lassen, ist in vielen Ballungsräumen schon selbstverständlich und hat sich wirtschaftlich tragfähig gezeigt. Der VCD hatte hier bereits zu Beginn der 2000er Jahre mit dem „Nachtstern Schiene“ ein einfaches und kostengünstiges Konzept für die Region Rhein-Main vorgestellt. Es ist erfreulich, dass nun auch die Politik das Potential durchgehend verkehrender S-Bahnen (Zeile 1566) erkannt hat. Dabei sollten die Verantwortlichen auf die Verknüpfung der Angebote im Nachtverkehr achten. www.vcd.org/vorort/hessen/themen/bus-bahn/nachtstern-schiene

Attraktive Fahrpreise (Zeile 1626) für alle Fahrgäste, nicht nur für bestimmte Gruppen, sollten das Ziel sein. Die heute übliche alljährliche Fahrpreiserhöhung, deutlich über der Inflationsrate, ist kein Konzept für die Zukunft. Günstigere Fahrpreise und ein 365-Euro Jahresticket, das über die Stadtgrenze hinaus gültig ist, sollten angeboten werden. Es muss ein Finanzierungskonzept eingeführt werden, das nicht nur die Fahrgäste einbezieht, sondern auch die Nutznießer des ÖPNV. www.vcd.org/themen/oeffentlicher-personennahverkehr/oepnv-finanzierung&nbsp;

Die Einführung eines neuen Tarifsystems ist überfällig. Wer angemessenere Fahrpreise wünscht, kann nicht an der alten Wabenstruktur für die Fahrpreisberechnung festhalten. Wie die langjährigen Fahrpreisvergleiche des VCD gezeigt haben, entstehen dadurch ungerechte und unlogische Preissprünge, die den ÖPNV besonders für die Fahrgäste und Pendler aus den an Frankfurt grenzenden Kommunen und Landkreise unattraktiv machen. Der in Erprobung befindliche Tarif RMVsmart bietet kein Modell für komplexe Stadtgebiete wie Frankfurt am Main. Beispielsweise fehlen Kurzstrecken und auch Zeitkartenmodelle, die ein elementarer Bestandteil des Angebots sind. Er ist bisher ungeeignet die Wabenstruktur zu ersetzen.

Die Einführung eines neuen Tarifsystems, sollte unterstützt und beschleunigt werden. Bereits 2010 wurde vom RMV eine Tarifreform für 2013 angekündigt, ohne ein konkretes Ergebnis. Bei dem derzeitigen Tempo wird es in absehbarer Zeit keine umfassende Tarifreform geben. Der RMV muss daher strukturell und finanziell in die Lage versetzt werden, die Tarifstruktur zügig weiterzuentwickeln.

Die Koalition hat sich zum Lärmaktionsplan bekannt (Zeile 1589). Darin sind Maßnahmen für den Anlagen- und den Alleenring, die Eschersheimer und die Friedberger Landstraße, sowie das nördliche Mainufer ausgewiesen.

Die Ergebnisse des Verkehrsversuchs „Tempo 30 bei Nacht“ zeigen, dass die Pegelwerte für die Lärmsanierung nur bei Tempo 30 mit Kontrolle eingehalten werden könnten. Der Austausch der Straßenbeläge gegen Flüsterasphalt würde zwar auch bei Tempo 50 eine Lärmminderung möglich machen, die Stadt aber einen Millionenbetrag kosten, der Jahr für Jahr finanziert und mit ständig wiederkehrenden Straßensperrungen erkauft werden müsste, denn der Belag ist nach etwa acht Jahren wieder fast wirkungslos. Keine vielversprechende Alternative zu Tempo 30.

Beim Thema Flughafen erwecken die gemeinsamen Mehrheitseigner Land und Stadt den Eindruck der Machtlosigkeit. Die Erkenntnis, dass „aus dem Flugaufkommen erhebliche Lärmbelastungen für Stadt und Region“ resultieren (Zeile 1305) sollte grundlegend für die Entscheidungen zur Entwicklung des Flughafens sein. Für das Management des Flughafenbetreibers Fraport scheint aber das Streben nach Wachstum und Gewinnmaximierung im Vordergrund zu stehen. Das Werben um Billigflieger, die mehr Flüge und Lärm bringen werden, und die umstrittenen Millioneninvestitionen für das Terminal 3 rechtfertigen sollen, sowie Firmengründungen und Aktivitäten im Ausland, die sich auf die Steuerabführung des Unternehmens auswirken, sind Indiz dafür.

Stadt und Land müssen sich Gedanken darüber machen, ob sie an einem Management festhalten wollen, dass ihr erklärtes Ziel „Wirtschaftliche Stärke und Lärmreduzierung in Einklang“ zu bringen (Zeile 1299) nicht würdigt.

 

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