Hessen

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Hessen, Flugverkehr, Saubere Luft, Klimaschutz, Verkehrslärm, Neue Technologien, Tourismus, Pressemitteilung
Frankfurt & Rhein-Main

Ein Flughafen für die Region: VCD-Rede auf Montagsdemo

Auf der 140. Montagsdemo im Frankfurter Flughafen am 8. Juni 2015 sprach Werner Geiß, VCD-Landesvorstand und Experte für Flugverkehr, vor mehreren hundert Demonstrantinnen und Demonstranten. In seiner Rede wies er u.a. darauf hin, dass die Drehkreuzfunktion des Frankfurter Flughafens durch neue Flugzeugtechnologie längst überholt sei.

Hier die Rede im Wortlaut.

Ein Flughafen für die Region

Das Geschäftsmodell von Fraport mitsamt Lufthansa begeistert anscheinend immer noch die meisten Fraport-Aktionäre. Mit vielen Zubringerflügen werden die Fernflugreisenden aus der ganzen Republik in Frankfurt eingesammelt, um sie in riesigen und entsprechend lauten Blechflugzeugen in ferne Kontinente zu transportieren. In seiner Begeisterung fürs „Drehkreuz“ will das Management jetzt gar noch ein drittes Terminal, das allerdings bislang noch keine einzige Airline ansteuern möchte.

In der Euphorie für das so angesagte Statuskonsumgut Flugtourismus haben die – mehrheitlich öffentlichen – Aktionäre übersehen, dass die Bundesregierung bis 2050 den Treibhauseffekt um 80 bis 95% gegenüber 1990 senken will. In Rhein-Main strebt die örtliche Politik dann sogar das Ende aller fossilen Brennstoffe an. Bleibt es beim Geschäftsmodell des Flughafens als größter Klimaschädiger der Region, droht also spätestens am 31. Dezember 2049 das abrupte Aus des Flugbetriebs. 

Übersehen haben Manager und Mehrheitsaktionäre auch den technischen Fortschritt und die Marktentwicklung im Fernflugverkehr. Das „Drehkreuz“ ist out, mitsamt den riesigen, lauten Blechgiganten. Diese pseudomodernen Flaggschiffe der Lufthansa – A380, B747-8 – sind Ladenhüter! Die globale Konkurrenz bevorzugt innovative, kleine, sparsamere und vor allem leisere Jets aus Verbundwerkstoff, die fast alle Ballungsräume der Welt non stop verbinden können, ohne Umsteigen am „Drehkreuz“, ohne Zubringerflüge. Wiewohl erst seit kurzer Zeit in Produktion, liegen schon rund 2000 Bestellungen für die neuen Modelle A350 und B787 vor. Und die künftigen Baureihen A330neo und B777X werden den Trend zu „Point to Point“-Fernflügen noch weiter verstärken. 

Vergessen haben Politik und Luftfahrtbranchen auch die erfolgversprechenden Bemühungen europäischer und US-amerikanischer Forschung, schon bis 2020 Flugzeuge und Triebwerke zu entwickeln, die um 50 bis 75% weniger Erderwärmung verursachen. Vor sieben Jahren wurde das EU-Projekt „Clean Sky“ am hessischen Forschungsstandort Darmstadt verheißungsvoll zelebriert; in den Medien waren schon konkrete Studien neuer Flieger abgebildet. Wohl weil sie finanziell beteiligt werden sollte, hat die europäische Luftfahrtindustrie diese längst überfällige Neuerfindung des Flugzeugs abgewürgt. Man verweist auf Biotreibstoffe. Fragt sich, wo die alle herkommen sollen.  

Weil derzeit die leisesten Flugzeuge auch die sparsamsten sind, wären die von Fraport erhobenen Lärmentgelte ein hervorragendes Instrument zur Strukturierung des Flugverkehrs. Die Betonung liegt auf „wären“. Denn die in 16 Stufen gestaffelten Startentgelte sehen nur für die höchste Kategorie einen angemessenen Betrag von knapp 23.000 Euro vor. Leider enthält diese Stufe nur längst ausgemusterte Flugzeugtypen. Dagegen sind alle anderen Lärmkategorien so moderat belastet, dass selbst die lärmigen Lufthansa-Riesen fürs „Drehkreuz“ mit kaum 1000 Euro je Start noch billig davonkommen. Schon mit den Flugzeugen der 6 leisesten Stufen ließe sich globaler Flugverkehr bis 16.000 km Reichweite realisieren. Ist es nicht Pflicht der verantwortlichen Politik, anstelle von Fraport diese Entgelte festzulegen? Sie so zu bemessen, dass nur Flugverkehr nach dem neuesten Stand der Technik – leise und klimaschonend – profitabel ist?

Im Planfeststellungsbeschluss wurde der Flughafenausbau als öffentliches Interesse zur Erhaltung der „Drehkreuzfunktion“ begründet. Dass interkontinentaler Flugverkehr künftig keiner Drehkreuze mehr bedarf, war damals vielleicht nur Fachkundigen klar. Heute ist es eine Gewissheit. Die vierte Landebahn, das Terminal 3, vor allem der unerträgliche Lärm zu vieler, zu großer, zu lauter Flugzeuge sind nicht Folgewirkung eines öffentlichen Interesses, sondern nur des privaten Geschäftsmodells „Drehkreuz“ der Unternehmen Fraport und Lufthansa. Ist ein Planfeststellungsbeschluss in Stein gemeißelt? Unsere gewählten Volksvertreter sollen uns bitte erklären, ob der Rechtsstaat primär überholte und unsinnige Planfeststellungsbeschlüsse schützt oder das Gemeinwohl. 

Angesichts aktueller Klimapolitik – s. G7-Treffen: Beschluss 2-Grad-Ziel  – scheint fraglich, ob der globale Flugverkehr ewig steuerfrei bleiben kann. Auch die Entwicklung neuer klimaschonender Flugzeugtechnologie wird das Fliegen teurer machen. Das derzeit boomende Statuskonsumgut Flugtourismus (rd. 80% der Reisenden!)  wird sich mal erschöpfen. Mit Sicherheit sind die Wachstumsprognosen von Fraport langfristig so nicht haltbar. 

Wir müssen wohl einen Flughafen mit gewissen Nachteilen für die Anwohner akzeptieren. Aber nur einen Flughafen, dessen Kapazität den Bedürfnissen unserer Region genügt. Die eingesetzten Flugzeuge müssen dem Stand der Technik entsprechen. Zur Bedienung der Region reichen die vorhandenen Terminals und drei, vielleicht sogar nur zwei Bahnen aus. Der hieraus resultierende Verkehr kann mühelos zwischen 6 und 22 Uhr abgewickelt werden. 

Das geht aber nur, wenn Verkehrspolitik nicht vom Fraport-Management, sondern von unseren gewählten Volksvertretern gemacht wird. 

(Werner Geiß, VCD Hessen, 8. Juni 2015)

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