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Klimaschutz, Lebensstil, Kolumne
Landesverband Hessen

Kolumne: Kultur statt Kult

Sturzfluten in Südeuropa und Asien, niedergebrannte Städte in Kalifornien, Trockenheit in Deutschland. Jetzt hat’s ja wohl jeder begriffen, dass der von der Wissenschaft jahrzehntelang gebetsmühlenartig prophezeite Klimawandel nicht kommt, sondern da ist. Damit’s nicht noch viel schlimmer wird, sollten ja gerade wir Deutschen unsere Mobilitätsgewohnheiten umstellen. Ist auch schon ein alter Hut, jedoch: die Erkenntnis greift nicht. Schlicht, weil es gar nicht allein um Mobilität geht.

Denn die bevorzugten Mobilitätsgewohnheiten dienen nicht primär der Fortbewegung, auch nicht der Zielerreichung. Sie sind Selbstzweck. Sie sind Kult: Geländewagen, Premium-Auto, Fernflugtourismus, Schiffskreuzfahrten. Es geht also nicht nur um eine alternative, klimaschonende Mobilität, sondern um alternative Konsumgewohnheiten.

Tatsächlich bröckeln die Statussymbole, wirken mitunter schon recht biedermeierlich. Mit dem steigenden Bildungsniveau zeichnet sich ein Wertewandel ab. Grüne Wahlerfolge sind nicht allein ein politisches Statement, sie dokumentieren den neuen Zeitgeist und damit das, was jetzt Kult ist. Der angesagte materielle Statuskonsum ist nicht mehr ganz so angesagt. Mitunter blamiert man sich eher mit dem Geländewagen, der Schiffskreuzfahrt, auch jenseits kleiner elitärer Zirkel. Stattdessen trifft man sich im Theater, sogar wieder in der Buchhandlung, sowieso auf Buch- und Kunstmessen. 

Die Umweltverbände, auch der VCD, sollten ergo einen Wertewandel fördern, der motorisierte durch geistige Mobilität ersetzt. Sie gewännen damit viele neue Verbündete aus dem Kulturbereich, vom Buchhandel bis zum Bundesverband bildender Künstler. Wertewandel heißt zugleich Abkehr von alten Statussymbolen, die sich weniger Betuchte  nicht leisten können und zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Die städtische Bibliothek, Kino- und Theaterbesuche sind viel billiger als Geländewagen, Tauchen in Thailand oder Schiffskreuzfahrten. Indem die Kultur teuren Konsum als Statussymbol ersetzt, erspart sie nervige Neiddebatten.

Auch der neue Verkehr muss charmanter, kultivierter werden. So wie das Design der neuen französischen Straßenbahnen, so, wie der französische Schnellzug „TGV duplex“, der aus dem Obergeschoss viel mehr Weitsicht bietet als der biedere ICE, in dem man immer „unten“ hockt. In der Bahn muss man fühlbar höher, bequemer, kurzum erhabener sitzen als im protzigsten SUV, muss man schneller sein als im Porsche.  

Doch wer nun ein geeintes, aufgeklärtes Volk der Dichter und Denker vor Augen hat, macht die Rechnung ohne die Konsumgüterindustrie und deren findige Werbeagenturen. Die haben mehr Geld und damit mehr Potential, überflüssigen hochprofitablen Plunder zu vermarkten als die Umweltverbände, um Vernunft zu vermitteln. Es bedarf also gemeinsamer Anstrengungen von Umwelt-, Klima-, Kulturinstitutionen, Wissenschaft und seriöser Medien, den Wertewandel einzuleiten, unterstützt durch ein kluges Klimasteuersystem (wie in der Schweiz), das intelligentes Konsumverhalten belohnt.

Herzliche Grüße Euer
Werner Geiß

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